Interview Jessie Diaz-Herrera
Wann hast Du angefangen, einfach Dein Ding zu machen und Dich so zu akzeptieren, wie Du bist?
Ich habe mich während meiner Jugend in der Ballettszene ständig abgelehnt gefühlt, deshalb habe ich das Tanzen dann vollständig aufgegeben, bis ich am College war. Aber selbst da habe ich mich oft unwohl in den Kostümen gefühlt oder dachte,
ich wäre nicht sexy. Mir haben die sozialen Medien sehr geholfen, als ich angefangen habe, nach Tänzern zu suchen, die ähnlich aussahen wie ich. Nach der Geburt meiner Tochter fiel ich in eine Depression und war zutiefst unglücklich mit
meinem Körper, das Tanzen hat mir sehr dabei geholfen, das durchzustehen und wieder „ich“ zu werden, aber diesmal ohne Kompromisse. Durch die sozialen Medien und das Sprechen mit anderen Menschen habe ich erkannt, dass ich nicht allein bin;
es gab außergewöhnliche Tänzer da draußen, die alle möglichen Größen hatten. Da habe ich angefangen zu tanzen und meine Erfahrungen mit anderen zu teilen und der Rest ist Geschichte.
Du bist eine tägliche Inspiration für Selbstliebe für Deine 15.000 Follower auf Instagram. Wie war Dein Weg zur Selbstliebe? Wer hat Dich inspiriert?
Ganz ehrlich, ich glaube, ich war selbst meine größte Inspiration, denn genau das ist es, worum es bei Self-Care und Body Positivity überhaupt geht. Es geht darum, zu lernen, sich selbst mit anderen Augen zu sehen. Das braucht Zeit, aber es
ist es wirklich wert. Es ist fast so, als würde man sich selbst daten. Du führst Dich selbst zum essen aus, Du ziehst Dich hübsch an, Du machst Dir Komplimente und sagst Dir, wie schön Du bist. Affirmationen vor dem Spiegel zu sagen ist sehr
wichtig. Sieh Dich an und sage: „Du bist meine Inspiration. Du bist großartig. Du bist wertvoll.“
Was würdest Du Frauen raten, die mit ihrem Körper unzufrieden sind?
Body Positivity ist ein Weg: Jeden Tag lerne ich, mich mehr zu lieben. Zum Beispiel habe ich meine Arme früher gehasst. Deswegen habe ich auch im Sommer immer lange ärmel getragen und habe versucht, meine Arme auf Fotos zu verdecken. Ich
liebe sie zwar immer noch nicht zu 100%, aber vor zwei Jahren habe ich mich dazu entschlossen, mich nicht mehr darüber zu beklagen oder sie zu verstecken, sondern daran zu arbeiten. Ich habe mit CrossFit angefangen und das hat mir dabei
geholfen, das Kraftpotential meiner Arme zu entdecken, das hat meine Einstellung geändert. Selbst wenn ich meine Arme nicht immer schön finde, lächle ich doch immer und freue mich über die Entwicklung, wenn ich im Spiegel den Muskelaufbau
sehen kann. Finde also etwas, was Du gerne machst und was genau die Körperstellen hervorhebt, die Dir missfallen und arbeite aktiv daran, sie mehr zu lieben. Egal ob durch Tanzen, Yoga, Malen oder Singen.
Aber wie soll man mit Tanzen oder ähnlichem beginnen, wenn man sich im eigenen Körper unsicher fühlt?
Erstmal Zuhause ausprobieren! Es gibt ganz viele tolle Videos im Internet, mit denen man lernen kann. Ich habe übrigens auch einige auf meinem Youtube Channel! Dann wage den Sprung und melde Dich für einen Kurs an, von dem Du denkst, dass er
zu Dir passt. Manchmal sind die Kurse, die im örtlichen Fitnessstudio angeboten werden, die am wenigsten wertenden. Probiere ruhig auch mehrere Kurse aus und finde heraus, was für Dich am besten funktioniert. Mach ganz kleine Schritte. Wenn
Du Dich nervös fühlst, dann stell Dich hinten hin bis Du Dich sicher genug fühlst, eine Reihe nach vorne zu gehen und dann noch eine. Nimm eine/n Freund/in mit! Denn egal, ob ihr es beide vermasselt, oder es super macht, in jedem Fall habt
ihr eine lustige Geschichte zu erzählen!
Was ist mit den Frauen, die in den Augen der Gesellschaft eine „normale“ Figur haben? Unter ihnen gibt es so viele, die trotzdem unzufrieden mit sich selbst sind oder sich in ihrem Körper unsicher fühlen. Was kannst Du diesen Frauen
raten?
BODY POSITIVITY IST FüR JEDEN. Für wirklich jeden. Ja, es hat zwar als „Fat Girl Movement“ begonnen und dann hat es sich ausgebreitet auf die, die ihren Weg aus der Essstörung suchen, aber was ist mit denen dazwischen?! Für die Gesellschaft
sind sie okay, sie brauchen keine Body Positivity, weil sie „die Norm“ sind. Das mag vielleicht zum Teil stimmen, aber mentale Positivität brauchen wir alle. Denn selbst was wir als einen schönen Körper wahrnehmen, nehmen sie selbst
vielleicht als wertlos wahr, wenn der Kopf das sagt.
Also sage ich zu ihnen (und zu allen Frauen): Beginnt das an eurem Körper zu bewundern, was euch tatsächlich gefällt. Konzentriert euch auf eure Stärken. Macht euch vor dem Spiegel Komplimente dafür. Dann erst wendet euch den Körperstellen
zu, an denen ihr arbeiten möchtet. Das ist zwar erstmal schwierig, aber wenn Du am liebsten aufgeben möchtest, konzentriere Dich wieder auf das, was Du an Dir liebst. Es wird mit der Zeit immer einfacher.
Bewegung begleitet Dich schon Dein ganzes Leben. Jetzt gehst Du als Gründerin und Trainerin von Curves With Moves mit gutem Beispiel voran und möchtest Deinen Gruppen Spaß an der Bewegung vermitteln. Wie nimmst Du den Lernprozess
wahr? Ist es schwierig, eine dauerhafte Begeisterung für Sport und Bewegung zu vermitteln?
Meine Kurse heißen Body Positivity Tanzkurse, weil sie zu einem Drittel aus Diskussionen und positiven Affirmationen bestehen und zu zwei Dritteln aus Tanz und Energie. Ich suche Diskussionsthemen aus, durch die wir dann offen über unsere
Körper sprechen können. „Welche ist die Körperstelle, die Du am meisten an Dir liebst und warum?“ oder „Erzähle uns etwas, was Du schon mit Deinem Körper erreicht hast, worauf Du stolz bist.“ Außerdem suche ich Lieder aus, die meine
Teilnehmer sexy oder frech oder voller Energie fühlen lassen.
Ich liebe meine Tanzkurse sehr, weil ich so viel von meinen Tänzern lerne. Sie teilen ihren Kummer und ihre Erfolge mit mir, sprechen aufmunternde Worte aus, um einen anderen Tänzer zu unterstützen oder sie tanzen mit so viel Energie und
Freude, dass es mich immer wieder berührt. Ich finde Tanzen lehren nicht besonders schwierig, denn es ist pure Leidenschaft und gewisse Momente mit ihnen zu teilen ist so belebend. Ich denke, wenn sich das ändern sollte, dann könnte es
schwierig werden.
Schildere uns doch bitte einen besonders schönen Moment, den Du mit einer Teilnehmerin / einem Teilnehmer teilen konntest.
Eine von den Aktivitäten im Kurs ist es, Kärtchen mit Affirmationen (Bestätigung) zu verteilen und die Teilnehmenden zu fragen, ob sie sich damit identifizieren können oder nicht. Eine von meinen Tänzerinnen hat dann sehr emotional von einer
Karte erzählt, die sie einige Male zuvor bekommen hatte. Sie hatte eine Fehlgeburt gehabt und war dabei fast gestorben. Während ihres Krankenhausaufenthaltes hatte sie etwas in ihrem Geldbeutel gesucht und fand dabei ihre Karte wieder, auf
der stand: „Ich kann und ich will.“ Sie musste sofort lächeln und wusste, dass sie das durchstehen würde. Diese Affirmationen sind unglaublich kraftvoll und so eine kleine Erinnerung im Geldbeutel, dem Handy oder am Spiegel zu haben, kann an
schlechten Tagen einen sehr großen Unterschied machen.
Für viele passt Curvy und Sport nicht zusammen, vermutlich weil Angst und Scheu vor Verletzungen und der intensiven Körpererfahrung vorherrschen. Was möchtest Du den Lesern dazu mitgeben?
Die Leute vergessen oft, dass Sport eigentlich nicht für das äußerliche Erscheinungsbild, sondern für die Gesundheit gedacht ist. Bewegung reduziert Stress, hält Dein Herz gesund, lässt Dich länger jung und fit aussehen, bringt die Verdauung
in Schwung und so weiter. Wenn Du Deinen Fokus verschiebst und Dich nicht mehr auf die Gewichtsreduktion konzentrierst, sondern zum Beispiel darauf, stärker zu werden, dann ist der erste Schritt in Richtung Body Posititvity schon getan. Indem
wir Sport machen, zeigen wir unserem Körper, dass er aktiv sein kann und arbeiten auf einen gesünderen Lebensstil hin.
Du bist außerdem auch Mutter. Glaubst Du, dass durch das Internet und Social Media heutzutage noch mehr Druck auf junge Leute ausgeübt wird? Wie können wir unseren Kindern schon von klein auf Body Positivity vermitteln?
Im Zeitalter von Social Media ist der Druck, sich schön zu fühlen, unglaublich hoch. Dazu kommt noch das weit verbreitete Mobbing, es ist wirklich erschreckend. Aber wir müssen unseren Kindern Selbstvertrauen vermitteln. Meine Tochter ist
erst 3 ½ Jahre alt aber seit sie 2 ist, habe ich begonnen, mit ihr gemeinsam Affirmationen zu sagen. Wir machen das jetzt jeden Abend nach dem Beten. Wir sagen dann „Ich bin stark, ich bin liebenswert, ich bin schlau, ich bin schön“.
Vielleicht versteht sie das jetzt noch nicht richtig und sieht es wie einen lustigen Satz, den sie mit Mama sagt. Aber schon bald wird sie die wahre Bedeutung ihrer Worte verstehen und wie sie ihr Leben prägen können.